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00:00Erhard oder Brand
00:3038 Millionen werden gefragt. Soll die Bundesrepublik das zweitgrößte Handelsland der Welt bleiben? Soll die D-Mark vor gefährlichen währungspolitischen Experimenten bewahrt werden? Soll uns soziale Sicherheit auch in Zukunft ein Leben ohne materielle Not ermöglichen? 38 Millionen werden gefragt. Auch Sie.
00:53Über Autos und Autofahrer in diesem und jenem Land geht es heute in Werner Höfers Sonntagsrunde.
01:02Aber Schleichwerbung gibt es nicht, nie und nimmer und schon gar nicht in der Politik und erst recht nicht an diesem Tag, der ein ganz besonderer Tag für dieses Land ist. Heute darf man über alles reden, nur über das nicht, was heute wahrhaftig der Rede wert ist über Politik.
01:18Ich wollte hier etwas hinzufügen. Was ich vermisse sehr bei dieser Wahlversammlung in Deutschland ist, dass die Redner stehen, in meiner Erfahrung diesmal jedenfalls, niemals zu Antworten, zu Fragen und Antworten aus der Halle. Es ist eine Kundgebung. Er kommt, er gibt Kund und er geht weg.
01:39Das war ein wunderlicher Wahlkampf, meine Damen und Herren. Ich glaube nicht, dass den Werbeberatern der Parteien jemals früher so viel eingefallen ist wie bei diesem Wettbewerb.
01:49Die Erfolgsrezepte der Waschmittelreklame wurden ebenso zu Hilfe genommen wie die Erfahrungen der Wehrmachtsfrontberichterstatter. Mal gab es Unterhaltungsabende, mal wurde in besonders gedämpftem, seriösen Tonfall gesprochen, mal wurde Mutterglück gezeigt, dann wieder ein bisschen Glaube und Schönheit und dann wieder ein bisschen Twist.
02:09Vor allem aber ruten die Kameras immer wieder und gerne auf Zigarren und Homburghüten und prominenten Automarken offenbar den Symbolen von Überlegenheit und Sicherheit.
02:20Es ging ganz offensichtlich bei diesem Wahlkampf darum, Sympathien zu erwerben und Vertrauenswürdigkeit auszustrahlen.
02:28Positiv wollte man wirken und vor allem frisch und gesund. Nun ist dagegen ganz und gar nichts einzuwenden. Auch, dass die Sozialdemokraten sich nicht mehr gerne Sozialisten nennen lassen und andererseits die CDU offenkundig darauf verzichtet, allzu ausführlich von christlicher Politik zu sprechen.
02:48Auch darüber sollte niemand die Nase rümmen. Fatal an diesem Wahlkampf waren nicht die Methoden der Sympathienwerbung.
02:54Peinlich, so scheint mir, war vielmehr die Ungenauigkeit der Worte und Programme und ärgerlich war mir die Unterschätzung, die Geringachtung des Publikums, um das geworben wurde.
03:05Die Propagandastrategen dieses Wahlkampfs hielten offenbar dieses Publikum für ungebildet, geldgierig und nervenschwach.
03:14Das ist ein hartes Urteil, aber wie anders ist es denn zu erklären, dass alle Parteien, allen Leuten, alles nahezu gleichzeitig versprachen.
03:23Die Markt stabil zu erhalten und gleichzeitig sehr viel mehr auszugeben. Die Bildung oder die Krankenhäuser oder die Gemeinden zu fördern, andererseits aber nicht die Steuern zu erhöhen.
03:33Alle sprachen auch von Einsparungen, aber niemand sagte ganz genau, aus welchen Mitteln und auf wessen Kosten.
03:39Nicht anders behandelte man die Außenpolitik. Man sprach davon, dass die gegenwärtigen Schwierigkeiten und Probleme, die in den nächsten vier Jahren andauern werden,
03:48dadurch zu überwinden seien, vielleicht zu überwinden seien, dass man nun einmal ernsthaft, sehr ernsthaft mit unseren Freunden, aber auch mit unseren Gegnern sprechen müsse.
03:57Wobei natürlich Recht immer Recht bleiben müsse, beispielsweise im Hinblick auf die alte Heimat oder auf die Schuld der anderen oder auf die großen deutschen Leistungen.
04:05Kein Ausweg aus den vielen innen- und wirtschafts- und außenpolitischen Problemen und Schwierigkeiten, die sich da nun vor uns ausbreiten,
04:14wurde genau beschrieben und entworfen. Kein klares Bild von der Zukunft wurde entworfen.
04:19Dabei findet doch gerade diese Wahl sozusagen zwischen dem Abschluss der Nachkriegszeit einerseits und dem Beginn einer vollkommen veränderten Entwicklung in Deutschland selbst und in Europa und in der Welt statt.
04:33Man scheute sich aber, dem Publikum gegenüber allzu deutlich zu werden.
04:39Offenbar sind die Werbeberater der Parteien der Meinung gewesen, dass man uns Deutschen nicht allzu viel Klarheit und vor allem keine harten Wahrheiten zumuten könne.
04:47Es gab dabei Entgleisungen, aber irre ich mich, wenn ich sage, dass bei diesem Wahlkampf die Argumente mehr geschätzt wurden als die Emotionen,
05:00die sachliche Auseinandersetzung mehr als der leidenschaftliche Angriff.
05:04Ich glaube, dass das für die Reife unserer Demokratie spricht.
05:10Meine Damen und Herren, wir sind hier immer noch im großen Kabinettsaal des Bundeskanzleramtes und warten auf den Bundeskanzler.
05:15Wir wissen nicht, wann er kommt, vielleicht in etwa 10, 15 Minuten.
05:18Aber inzwischen hat es hier einen ziemlichen Auflauf gegeben.
05:21Günter Grass ist gerade hier in das Kanzleramt gekommen.
05:26Herr Grass, was hat Sie bewogen, jetzt zu dieser Stunde, nachdem das Wahlergebnis weitgehend feststellt, zum Bundeskanzler zu kommen?
05:32Ich habe ein paar Fragen an den Herrn Bundeskanzler zu stellen.
05:34Unter anderem, worauf er zum Beispiel das Inbrandstecken meines Hauses zurückführt.
05:41Ich habe da eine präzise Meinung.
05:43Meine Meinung ist die, dass Herr Erhard Emotionen wachgerufen hat, von denen wir meinten, sie schlafen.
05:50Und die Leute haben ihm ein Wort genommen, wenn man Schriftsteller, Wissenschaftler...
05:53Und Sie meinen jetzt die Sache mit den Pinchern?
05:55Ja, das hat sich ja nicht nur auf Schriftsteller insgesamt gezogen, sondern überhaupt die Absage an den deutschen Intellektuellen.
06:02Er hat Emotionen wachgerufen.
06:04Die Leute haben ihm ein Wort genommen.
06:06Sie haben fehlende Argumente mit Benzin und Streichholz ersetzt.
06:10Und so lautet meine Frage.
06:12Aber finden Sie es nicht etwas weitgehend, zu sagen, dass der Kanzler sozusagen diese Brandstiftung ausgelöst hat?
06:17Ein Mann, der ein solches Amt hat, muss seine Worte abwägen können.
06:22Wir haben eine Vergangenheit.
06:23Wir haben doch gesehen, was zum Reistagsbrand führen kann.
06:27Ich will jetzt meinen Haustierbrand nicht mit dem Reistagsbrand vergleichen.
06:30Wohl wahr, ja.
06:31Aber die Emotionen, die damals angesprochen worden sind und die, die heute angesprochen worden sind, sind dieselben.
06:37Also was die Wahlplakate angeht und der Werbestil des ganzen Unternehmens, so ist also sicher, dass das Niveau gegenüber den früheren Wahlkämpfen etwa 57 sehr gesunken ist.
06:52Also die Gleichförmigkeit der Wahlparolen, aber auch der Wahlgrafik, nicht wahr, hat also für mich etwas Erschütterndes.
07:01Man fordert, man warnt.
07:07Man stellt fest
07:09und man schimpft.
07:15Man schreit
07:18man beschwört
07:21man appelliert
07:26und man zönt.
07:37man überlegt
07:39schaut sich um
07:40und debattiert
07:42vor allem am Stammtisch.
07:53CSU sticht immer
07:55auch die SPD glaubt den Sieg zum Greifen nahe zu haben.
07:59Wer die Wahl hat, hat die Qual, der richtige Mann ist heut sehr wichtig, doch wo nehmen wir den bloß her, ja das ist schwer, schwer, schwer.
08:13Und Strauß?
08:15Meine Damen und Herren, wer mir unterstellt, dass ich, ich möchte beinahe sagen wie ein Hund mit heraushängender Zunge,
08:21hächelnd, mit Schaum vor dem Munde,
08:23um ein Amt strebe,
08:25der beweist damit, dass er in Pinscher-Kategorien denkt.
08:28Wir haben in Deutschland das Problem Strauß.
08:34Und viele Leute sind also der Meinung, das ist ein Mann, der soll nicht in die Regierung.
08:39Gleichzeitig aber sagt man, er kann zwar nicht in die Regierung, wegen all der Dinge, die er gemacht hat, über die wollen wir jetzt nicht sprechen,
08:46aber Vizepräsident des Bundestages, das könnte er werden.
08:49Ja, was für eine Meinung muss ich der Wähler oder der Staatsbürger bilden?
08:54Ich muss leider sagen, dass die FDP, dass es von der FDP nicht sehr klug war,
09:00Franz Josef Strauß so bitter zu reizen und so bitter zu bekämpfen,
09:06nahezu unnuanziert zu bekämpfen, wie das in den letzten acht, neun, zehn Wochen geschehen ist.
09:12Ich könnte mir vorstellen, dass sich daraus Schwierigkeiten ergeben.
09:15Im Ganzen möchte ich sagen, dass die deutsche Demokratie einen Siegerrungen hat.
09:22Denn es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass der Trend zur Konzentration immer stärker wird
09:32und dass alle Extremitäten der Politik keine Chance mehr haben, in Deutschland festen Fuß zu fassen.
09:41Sieg der Demokratie, meine Damen und Herren.
09:45Mit einem von Gerstenmaier Salon fähig gemachten Strauß, ohne KPD, mit 5%-Klauseln.
09:54Keine Chance für Extremitäten.
09:58Ja, was kann denn noch rechtsextremer sein, als wenn ein Strauß Parteiführer sein
10:03und bei der Bildung einer Regierung mitreden darf?
10:06Wo ist da eigentlich eine Reife der Demokratie, wenn nicht Argumente, sondern Reklamesprüche wiegen?
10:13Wenn es keine ernsthafte Diskussion, keine Auseinandersetzung gab, keine Rede und Antwort, keine Rechenschaft
10:20oder, wie es ein westdeutscher Fernsehsprecher eben formulierte,
10:24nicht zu viel Klarheit, vor allem keine harte Wahrheit.
10:27Dafür aber erschütternde Plakate und eine alle niedrigen Instinkte weckende und an sie appellierende Hetze.
10:37Was gab es eigentlich zu wählen?
10:41Wo war die Alternative?
10:42Wie kann eine uninformierte, nicht informierte Gesellschaft richtige Entscheidungen fällen?
10:48Wo sind Voraussetzungen geschaffen worden, frage ich, zur Lösung der brennenden Lebensfragen?
10:54Meine Damen und Herren, damit wir uns nicht missverstehen.
10:59Nichts liegt mir ferner, als einen Wähler der CDU, der CSU oder der FDP etwa für dumm zu halten.
11:08Falsche Entscheidungen setzen keineswegs Dummheit voraus.
11:13Unser ganzes Volk ist gewiss nicht dumm und dennoch hat die Mehrheit bekanntlich ausgangs der 20er
11:18und dann in den 30er Jahren falsch, verhängnisvoll falsch entschieden.
11:24Wir haben am eigenen Leibe den Beweis erfahren, dass eine erfahrene, raffinierte, demagogische, halb wahre, unwahre Propaganda
11:33durchaus vermag, gutgläubige, politisch sorglose Menschen zu falschen Entscheidungen zu verleiten.
11:41Man wird sagen können, dass ein gewisses ernsthaftes Pflichtgefühl der Deutschen ihrer Politik gegenüber bei Bundestagswahlen
11:53jedenfalls auch bei diesen Wahlen unverkennbar ist.
11:58Die hohe Wahlbeteiligung kommt übrigens nach Ansicht der Experten in erster Linie den großen Parteien zugute
12:04und unter denen wieder der CDU, CSU.
12:08Die hat außerdem immer noch einen Vorteil, den noch nie jemand abgelehnt hat.
12:14Sie genießt, vergleichsweise gesprochen, die höhere Sympathie der Frauen.
12:20Wem noch verdankt sie es?
12:22Einem offenbar sehr intensiv geführten Wahlkampf, also einer verbesserten Parteiorganisation,
12:30in der die jüngeren Kräfte mehr Ellbogenfreiheit bekommen haben.
12:33Es hat offenbar gar nichts ausgemacht, dass die Führer der CDU mitunter mit gespaltener Zunge sprachen
12:42und verschiedene Stimmen ertönen ließen.
12:46Ich habe es erlebt, dass das deutsche Volk demjenigen seine Stimme gab, der mir am meisten versprach.
12:54Das dicke Ende kam dann später.
12:55Ja, es kam nach das dicke Ende.
13:01Und trotzdem haben sich jetzt wieder 57 Prozent der Wähler von den drei Regierungsparteien
13:07Wahlgeschenke machen, das Blaue vom Himmel herunter versprechen lassen und ihnen Glauben geschenkt.
13:15Vertrauen denen, die mehr als einmal mit gespaltener Zunge und verschiedenen Sprachen und mit verschiedenen
13:23Stimmen sich hören ließen, wie Peter von Zahnes formulierte.
13:28Wie ist das möglich?
13:30Gab es nichts und niemanden, die ihnen mehr Vertrauen einflößten, die zu wählen sinnvoller und
13:36nützlicher gewesen wäre?
13:39Ja, ich will um die Dinge überhaupt nicht herumreden.
13:44Die SPD hat ihr Wahlziel nicht erreicht.
13:46Sie hatte sich vorgenommen, die Wählerstärkste Partei zu werden, die stärkste Fraktion im
13:51neuen Bundesstaat zu stellen.
13:53Das hat sie nicht geschafft.
13:55Herr Erler, nach den bisher vorliegenden Wahlergebnissen scheint es wohl festzustehen,
13:59dass ihre Partei das Wahlziel nicht erreicht hat, stärkste Partei zu werden.
14:03Worauf führen Sie das zurück und glauben Sie, dass das Konsequenzen haben wird für
14:07die künftige Politik Ihrer Partei?
14:09Es ist selbstverständlich, dass sich eine jede Partei über den Ausgang einer Wahl Gedanken
14:15macht.
14:16Das wird doch bei uns der Fall sein.
14:18Herr Brandt, ich würde gerne wissen, was ist Ihrer Ansicht nach der Hauptgrund dafür,
14:24dass die SPD ihr Wahlziel nicht erreicht hat?
14:27Der Hauptgrund ist zweifellos, dass es in weiten Gebieten noch nicht gelungen ist, Vorurteile
14:36abzubauen und unsere konkreten, praktischen Vorschläge und Programme gut genug an den Mann
14:45zu bringen, den Wählerinnen und Wählern nahezubringen.
14:50Meine Freunde und ich haben den Wahlkampf im Unterschied zu anderen sachlich und fair geführt
14:57nicht bloß gegen etwas, sondern für ein solides, überschaubares, durchgerechnetes
15:02Programm, das unserem Volk auf dem Weg in die nächste Zukunft helfen wird.
15:08Preise und Mieten, Volksversicherung und Volksgesundheit, Ausbildung und Forschung, gesunde Städte und gute
15:18Straßen, diese praktischen, unmittelbaren Fragen haben wir zur Aussprache gestellt.
15:25Ja, das war gewiss nicht falsch, aber war dieses Programm der SPD vielleicht ein bisschen
15:31zu viel durchgerechnet und auf einen Nenner gebracht mit dem Programm der Regierungsparteien?
15:38Und fehlte nicht einiges?
15:40Fehlte nicht nämlich die Hauptsache, die Antithese zu Erhard, Mendel und Strauß?
15:44Einmal, es war, glaube ich, in Dortmund, einmal nahm Willy Brandt während des Wahlkampfes
15:52den Ruf aus der DDR auf, dass es die vornehmste Aufgabe unserer Zeit sei, dafür zu sorgen,
15:58dass niemals wieder von deutschem Boden ein Krieg ausgehe.
16:00Einmal nahm das Willy Brandt auf.
16:04Aber wo blieb die Konsequenz aus dieser Einsicht, nämlich die Absage an die Atombewaffnung,
16:09die Forderung und Bereitschaft abzurüsten.
16:14Gegen die DDR und gegen Strauß, beides zusammen geht nicht.
16:19Eins schließt das andere aus.
16:23Wann, bitte bedenken Sie es einmal, wann war Willy Brandt eigentlich auf dem Höhepunkt
16:28seiner Popularität und damals Erhard um viele Längen voraus?
16:32Zur Zeit des ersten Passierscheinabkommens.
16:34Je mehr er sich jedoch dem Bonner Druck beugte, desto blasser wurde er.
16:41Friedliche Koexistenz, auch in Deutschland.
16:44Entspannung, Normalisierung der Beziehung mit der DDR, das wäre die Alternative gewesen.
16:51An welcher SPD, meine Damen und Herren, sollte sich der Wähler orientieren?
16:57An Wehners und Runhaus SPD in Hamburg, rechts an der CDU vorbei?
17:02Die Niederlage in der Hansestadt war die Quittung.
17:07Wer immer noch das Bündnis mit den Bauern missachtet, darf sich nicht wundern, wenn auf dem Lande die Reaktion siegt.
17:16Wo aber klare Gewerkschaftsköpfe die Frage des Klassenkampfes stellten,
17:22wo aktiv gegen die Notstandsgesetze und gegen die Atombewaffnung Stellung genommen wurde,
17:27da wurden Stimmen gewonnen, wie zum Beispiel in Mannheim.
17:2915 Prozent Gewinn.
17:32Allein solcher Halte, meine Damen und Herren, ist es zu danken,
17:36dass die absolute Mehrheit der Unternehmerparteien im Bundestag knapp vereitelt wurde.
17:42Es hätte nicht lauten dürfen, besser als Erhard, Adenauer, Mende und Strauß,
17:46sondern anders.
17:48Eine neue Politik.
17:49So aber behielt Erhard recht, wenn er sagte, warum die Kopie wählen, wenn man das Original haben kann.
17:59Die Weltgeschichte nimmt leider keine Rücksicht auf den deutschen Wahlkampf
18:03und ich glaube, eine Legislaturperiode in der Bundestagswahl ist auch keine weltpolitische Zäsur.
18:12Herr Batzel, was sagen Sie zu dem bisherigen einlaufenden Trend der Wahlägypten?
18:17Als Nächster möchte ich Dankeschön sagen.
18:19Dankeschön an die Wähler, die uns erneut ihr Vertrauen gegeben haben.
18:23Wir werden es nicht enttäuschen.
18:25Ich danke aber insbesondere den Wählern der CDU, CSU,
18:31die der Partei und mir ihr besonderes Vertrauen gegeben haben.
18:37Sie sollen nicht enttäuscht werden.
18:3938 Millionen werden gefragt.
18:4338 Millionen bestimmen, wer in den nächsten vier Jahren in Deutschland die Politik macht.
18:49Auf Sie!
18:51Meine Damen und Herren, glauben Sie, ernsthaft glaubt einer von Ihnen,
18:54dass Westdeutschlands Wähler gestern bestimmt hätten, wer welche Politik macht?
19:00Sechs Wochen lang hat man jetzt während des Wahlkampfs so getan, als ob die Staatsgewalt vom Volke ausgehe.
19:08Doch was geschieht nach den Wahlen, zwischen den Wahlen?
19:12Was die Wähler wollen?
19:15Schon Bertolt Brecht sagte, die Staatsgewalt geht vom Volke aus.
19:19Aber wo geht sie hin?
19:21Ja, wo geht sie wohl hin?
19:23Irgendwo geht sie doch hin.
19:27Wir wollen die Wahlen zum Bundestag nicht überschätzen.
19:30Die großen Entscheidungen über die nationalen Fragen unseres Volkes fallen nicht nur im Bonner Machtbereich
19:36und nicht einmal vorwiegend dort.
19:38Die DDR ist da und entscheidet mit und zwar immer maßgeblicher.
19:45Auch die historisch notwendig gewordenen Veränderungen in Westdeutschland, in der Bundesrepublik,
19:51sind nicht nur von Wahlen abhängig.
19:53Trotzdem sollten und müssen die Bundesbürger aufpassen, wenn ihnen Leute wie Erhard und Barzel
20:00wortreich versprechen, dass ihnen Geschenkte vertrauen, nicht enttäuschen zu wollen.
20:07Es liegt nahe, Herr Minister, Sie zu fragen als Außenminister, wie beurteilen Sie ganz knapp kurz
20:14die außenpolitische Situation für die Bundesrepublik nach diesem Wahlergebnis?
20:18Die außenpolitische Situation verändert sich durch das Wahlergebnis keineswegs.
20:24Wir haben große Schwierigkeiten gehabt.
20:26Wir werden weiter große Schwierigkeiten haben.
20:29Wir werden die Schwierigkeiten, soweit sich das heute übersehen lässt, meistern.
20:33Welches ist das schwierigste außenpolitische Problem für Sie jetzt?
20:37Das ist das, was es seit langem war und ist, die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes.
20:42Das bleibt nach wie vor Problem Nummer eins.
20:45Sofern wir für alle Zeiten auf Kernwaffen verzichten, machen wir uns selber zu einer
20:50Nation dritter Klasse.
20:52Wir haben da nicht mehr die geringste Aussicht, bei Freund oder Feind Gehör zu finden, wenn
20:57wir einmal eigene Anliegen vorzubringen haben.
21:01Also Atomwaffen, um sich bei Freund und Feind Gehör zu verschaffen?
21:06Also nicht mehr Verteidigung mit adäquaten Waffen gegen irgendeine Gefahr aus dem Osten,
21:13sondern der brutale Anspruch, wir brauchen Atomwaffen, um einzuschüchtern, um zu erpressen,
21:18um zu erzwingen.
21:20Was?
21:21Die Wiedervereinigung.
21:23Wiedervereinigung also durch Auslöschen der DDR.
21:25Und das Selbstbestimmungsrecht, ein Recht auf Heimat, das heißt die Revision der deutschen
21:31Ostgrenzen.
21:33Um für diese Anliegen Gehör zu finden, will die alte neue Bundesregierung Atomwaffen.
21:42Schröder sagt völlig richtig, die außenpolitische Situation sei durch den Ausgang der Wahlen nicht
21:48verändert.
21:49Die Schwierigkeiten, die Bonn gehabt hat, bestehen weiter.
21:53Aber man darf weiter gehen als Schröder.
21:55Man darf nämlich sicher sein, dass diese Schwierigkeiten nicht gemeistert werden, sondern
21:59immer mehr zunehmen.
22:01Das Ergebnis der Bundestagswahlen hat tatsächlich keine weltpolitische, stillt tatsächlich keine
22:06weltpolitische Zäsur dar.
22:08Aber einen gefährlichen Ruck nach rechts.
22:13Eine Vertiefung der Spaltung Deutschlands.
22:15Eine Gefährdung der europäischen Sicherheit.
22:20Die Gefahr der Verschärfung nach innen und außen.
22:24Wenn im eigenen Volk es Elemente gibt, die das nicht anerkennen wollen, dann gehen wir
22:30darüber zur Tagesordnung.
22:32Aber dieser Tag hat mir aufs Neue bewiesen, meine Damen und Herren, wie notwendig es ist,
22:38wachsam zu sein.
22:39Denn niemals mehr sollen solche Elemente in Deutschland etwas zu sagen haben.
22:45Die Staatsgewalt macht plötzlich Halt.
22:49Da sieht sie etwas stehen.
22:51Was sieht sie denn da stehen?
22:53Da sieht sie etwas stehen.
22:55Und plötzlich schreit die Staatsgewalt.
22:58Sie schreit auseinander gehen.
23:00Warum auseinander gehen?
23:02Sie schreit auseinander gehen.
23:04Bertolt Brecht.
23:05Elemente, nennt Erhard Bundesbürger, die Atompolitik, Revanchismus und Notstand ablehnen.
23:11Niemals dürften sie je in Deutschland etwas zu sagen haben, diese Elemente.
23:16Da seien die neue Bundesregierung und der neue Bundestag vor.
23:20Im Wahlkampf ist es mir nicht begegnet.
23:26Aber in den elf Jahren, in denen ich Bundestagspräsident bin, wurde ich allmählich mit dem handfesten
23:32Vorwurf vertraut, der hin und wieder erhoben wird, dass eben der Bundestag zu teuer sei,
23:38dass er für sich selber zu viel Geld ausgebe.
23:41Ich habe mir noch einmal für diese Rede die Ausgaben angeschaut, die vergleichbare Parlamente
23:48im Blick etwa umgerechnet auf die Kopfzahl der Bevölkerung auszugeben haben.
23:55Ich komme dabei zu dem Ergebnis, dass sich im Jahr 1964 jeder Deutsche in der Bundesrepublik
24:03seinen Bundestag ungefähr eine Flasche Bier, genau gesagt 86 Pfennig, kosten ließ.
24:11Ich weiß natürlich, dass kein vernünftiger Mensch von solchen Zahlen abhängig macht,
24:17ob er morgen zur Wahl geht oder nicht.
24:20Aber da es morgen um den Bundestag geht, kann heute ruhig auch darüber gesprochen werden,
24:25was er uns eigentlich kostet.
24:27Schöne Worte.
24:30Aber passen Sie auf, meine Brüder und Schwestern im Westen,
24:34dass Ihr neuer Bundestag Sie nicht zu teuer zu stehen kommt.
24:37Dass er sie nicht mehr noch als Geld, dass er sie nicht Freiheit und womöglich das Leben kostet.
24:44Schöne Worte.
25:03Schöne Worte.
25:05Untertitelung des ZDF, 2020