Die Bundesregierung schränkt die Zusammenarbeit mit Ruanda ein. Dem Land wird vorgeworfen, den Vormarsch der M23-Rebellen im Nachbarland Kongo zu unterstützen. Die DW spricht mit Katja Keul, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, über die Lage im Ostkongo.
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NewsTranskript
00:00Es ist eine der schlimmsten humanitären Krisen aktuell der Welt, sagt das UNHCR.
00:06Die Lage im Ostkongo mit Hunderttausenden Geflüchteten, mit Gewalt, mit Plünderung, mit Hunger.
00:12Es geht in dem Konflikt um Rohstoffe und Geopolitik und zu der Frage, was eigentlich Deutschland tut,
00:18kann ich jetzt sprechen mit der Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, mit Katja Keul. Hallo.
00:22Hallo, schönen guten Tag.
00:25Die Rebellen der M23-Milit. Sie haben vor Wochen weite Teile des Ostkongos besetzt, erobert.
00:32Sie werden laut UNO von Ruanda unterstützt und nun schränkt die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit Ruanda ein.
00:40Konkret soll es keine neue finanzielle Unterstützung geben.
00:43Die Entwicklungszusammenarbeit wird überprüft. War das ein unausweichlicher Schritt?
00:48Ja, das war unausweichlich in dieser Lage. Wir haben seit Dezember eine Eskalation erlebt im Ostkongo.
00:56Nachdem die Friedensbemühungen Angolas gescheitert sind und die Konferenz nicht zustande gekommen ist,
01:03haben wir einen Vormarsch der M23 gesehen und, wie wir auch schon seit längerem wissen,
01:07eben mit Unterstützung ausländischer Streitkräfte, Ruandas Streitkräfte.
01:12Und das ist etwas, was wir gerade in der jetzigen Weltlage überhaupt nicht tolerieren können,
01:17dass das Gewaltverbot und der Respekt vor den Grenzen des Nachbarstaates missachtet wird
01:21und Streitkräfte ins Nachbarland einmarschieren.
01:24Das ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts und was immer man auch für eine Lösung für diesen komplexen Konflikt finden muss.
01:31Aber einen solchen Bruch des Völkerrechts ist auf jeden Fall inakzeptabel.
01:36Und das machen wir auch deutlich, nicht nur Deutschland, sondern auch auf EU-Ebene und auch international.
01:41Und warum kommt das genau jetzt?
01:44Geht es auch darum, dass möglicherweise die Regierung um Paul Kagame strategisch nicht mehr so wichtig ist?
01:50Nein, es ist tatsächlich die Reaktion auf das, was am Boden stattfindet,
01:55auf eine militärische, massive Intervention in einen Nachbarstaat.
01:59Und auf diesen Bruch des Völkerrechts müssen wir reagieren.
02:02Wenn wir das nicht tun, dann werden wir auch international unglaubwürdig in dem, was wir machen.
02:07Also von daher ist das tatsächlich eine Reaktion auf das, was wir am Boden sehen.
02:11Sie haben erwähnt, Sie sind nicht allein, sagen Sie.
02:14Jetzt heißt es in der Erklärung der Bundesregierung ja auch,
02:17nach einer angemessenen Reaktion bei multilateralen Programmen soll gesucht werden.
02:22Was ist da in Ihren Augen denkbar für eine nächste Maßnahme, falls das jetzt nicht fruchtet?
02:27Also wir haben zunächst mal auf EU-Ebene auch einen Sanktionsrahmen, den wir füllen.
02:32Auch auf UN-Niveau haben wir Sanktionen, die verhängt worden sind.
02:37Wir haben die Entwicklungshilfe, die Neuzusagen eingestellt.
02:41Wir überprüfen die laufenden Projekte, inwiefern wir die einstellen können.
02:45Und wir überprüfen auch auf EU-Ebene das Rohstoffabkommen, inwiefern das ausgesetzt werden kann.
02:50Das sind im Moment so die Hebel, die wir haben.
02:54Wenn Sie sagen überprüfen, dann rufen wir vielleicht nochmal in Erinnerung, worum es da geht.
02:57Da hat die EU vor einem Jahr circa eine Absichtserklärung unterzeichnet,
03:02zwischen Ruanda und der EU, die den Zugang der EU zu Rohstoffquellen sichern soll,
03:08während Ruanda 900 Milliarden Euro bekommen soll, um unter anderem die eigene Infrastruktur auszubauen.
03:14Das heißt, Sie würden sagen, das passt nicht mehr in die Zeit?
03:17Also wir sehen jedenfalls, dass in diesem Konflikt eindeutig auch die Rohstoffe eine Rolle spielen.
03:23Wir sehen eben auch, dass während der militärischen Auseinandersetzung Rohstoffe auch exportiert werden,
03:29auch Ruanda-Rohstoffe exportiert, die zum Teil aus dem Ostkongo kommen.
03:36Und das kann nicht etwas sein, was wir unkommentiert lassen und was wir weiter mit EU-Mitteln unterstützen.
03:43Das heißt, Sie wären dafür, dass man den Schritt geht und sich von dieser Absichtserklärung wieder zurückzieht?
03:48Ja, es ist vor allem auch ein politisches Zeichen.
03:50Das EU-Abkommen fördert ja nicht nur den Export von Rohstoffen, sondern will auch die Transparenz der Handelswege stärken.
03:58Und das ist ja auch gut, das brauchen wir auch langfristig. Das sieht man ja gerade an diesem Konflikt.
04:02Dennoch sozusagen sehen wir, dass zu diesem Zeitpunkt jedenfalls die Reaktion auf dieses Abkommen nicht die ist, die wir uns wünschen.
04:11Und deswegen ist es auch ein politisches Signal zu sagen, so kann es nicht weitergehen.
04:15Jetzt hat ja speziell Deutschland auch intensive wirtschaftliche Beziehungen.
04:19Also wir können zum Beispiel darüber berichten, dass Fertigungs- und Montagestandorte von VOW sich in Ruanda befinden.
04:27Haben Sie auch da Erwartungen zu mehr Zurückhaltung?
04:31Also grundsätzlich ist es ja positiv, dass man enge wirtschaftliche Verbindungen hat.
04:36Aber wir können in dieser Situation jetzt zunächst erstmal das, was wir von staatlicher Seite haben, nutzen.
04:42Und werden jetzt an dieser Stelle keine Vorgaben an Volkswagen machen können.
04:47Aber die Hoffnung ist natürlich auch, dass wir bald zu einer Mäßigung und zu einer Lösung kommen, die dann auch wieder wirtschaftlichen Austausch ermöglicht.
04:55Jetzt ist es ja so, dass die M23-Rebellen auch mit dem Schmuggel von wertvollen Rohstoffen wie Coltan Millionensummen verdienen.
05:02Und das ist dann Geld, mit dem angeblich auch Soldaten der Armee der Demokratischen Republik Kongo abgeworben werden.
05:09Wer oder was könnte die Rebellen so in Schach halten, dass diese fragwürdigen Finanzquellen dann nicht mehr genutzt werden können?
05:17Also in der Tat, die M23-Rebellen haben eine der größten Coltan-Minen der Welt im Moment unter Kontrolle, worüber sie sich auch finanzieren.
05:26Aber das Entscheidende ist nach wie vor, dass sie längst nicht so eine Wirkung hätten, wenn sie nicht von Ruanda unterstützt würden militärisch.
05:34Deswegen ist das jetzt erstmal der Punkt zu sagen, um das Ganze nicht international weiter eskalieren zu lassen zu einem zwischenstaatlichen Konflikt,
05:42ist die Aufforderung an Ruanda, die Streitkräfte zurückzuziehen.
05:45Und dann kann man sozusagen mit wem auch immer dort im Kongo an Rebellengruppen vorhanden ist, an Lösungen arbeiten.
05:53Aber eine Intervention des Nachbarstaates muss enden.
05:57Da gibt es ja auch eine gewisse Enttäuschung in der Region, speziell in der Demokratischen Republik Kongo.
06:03Warum reagieren die Europäer nicht mit ähnlichen Maßnahmen gegen Ruanda, wie sie das nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine 22 gegen Russland getan haben?
06:11Haben Sie dafür eine Erklärung?
06:13Ja, aus kongolesischer Sicht, das habe ich auch selbst gehört bei meinem Besuch in Kanjaza,
06:17diesen Vergleich, dass eben gesagt wird, ihr habt so reagiert und warum lasst ihr uns hängen?
06:23Nun hinkt jeder Vergleich bei Konflikten, aber wo natürlich ein Punkt ist,
06:29das sagte ich ja vorhin, das ist der Bruch des Völkerrechtes.
06:32Und der ist hier natürlich genauso gegeben und deswegen ist es auch so wichtig,
06:36auch für unsere internationale Glaubwürdigkeit, für die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft,
06:40dass wir ganz klar sagen, es ist inakzeptabel, militärisch ins Nachbarland zu intervenieren.
06:45Sie waren nicht nur in Kanjaza, Sie waren auch in Kigali, in Ruanda, vor längerer Zeit, der Außenministerin.
06:53Aber jedenfalls gibt es ja dort auch Interessen und Vorbehalte und auch Sorge um Sicherheitsinteressen.
07:02Da wird dann argumentiert, etwa mit dem Schutz des eigenen Staatsgebiets vor Gruppierungen,
07:07die aus Tätern des Völkermords der Hutu an den Tutsi in den 90er Jahren bestehen.
07:11Wie ernst nimmt das Auswärtige Amt, wie ernst nehmen Sie diese Argumente?
07:17Also es gibt auch natürlich Sicherheitsinteressen Ruandas und das sagen wir auch der kongolesischen Seite.
07:22Auch diese Sicherheitsinteressen müssen ernst genommen werden.
07:25Es darf kein Aufstacheln, kein Hate Speech, keine Hetze geben,
07:29die gerade in dieser Lage, wo die Menschen seit Generationen traumatisiert sind durch diese Gewaltwellen,
07:36die durch den Kongo gerollt sind, da muss man natürlich gerade besonders behutsam sein.
07:40Und deswegen gibt es Sicherheitsinteressen auf allen Seiten.
07:43Aber es gibt keine militärische Bedrohungslage für Ruanda in einer solchen Form,
07:48dass sie eine militärische Intervention in den Kongo rechtfertigen würde.
07:51Das ist die Grenze, die man wirklich ganz klar ziehen muss.
07:55Und ansonsten sind alle aufgefordert, an den Tisch zu kommen.
07:58Wir unterstützen die beiden Prozesse, sowohl die Prozesse, die Angola vermittelt,
08:04auf Regierungsebene zwischen Ruanda und dem Kongo,
08:09aber auch den Nairobi-Prozess, der versucht, diese diversen bewaffneten Milizen in der Region
08:15auch an einen Tisch zu bringen und langfristig zu einer Aussöhnung
08:19und zu einem Waffenstillstand auch innerhalb des Kongo kommen.
08:22Und das ist im Interesse aller. Das ist die einzige Lösung.
08:25Das würde auch die Sicherheit Ruandas und auch die Sicherheit der Menschen im On-Cross-Kongo garantieren.
08:30Aber bis dahin ist noch ein langer Weg.
08:32Und als erstes muss jetzt in dieser Lage verhindert werden,
08:35dass sich jetzt ein innerkongolesischer Konflikt, was ja auch gerade schon passiert,
08:39zu einem internationalen Konflikt ausweitet.
08:42Auch das haben wir in der Vergangenheit ja auch schon gesehen mit dem Zweiten Kongo-Krieg.
08:47Ein internationaler Konflikt, wo viele Länder involviert waren mit drei Millionen Toten.
08:52Das zeigt uns eben auch, welche Ausmaße dieser Konflikt annehmen kann,
08:58wenn man hier jetzt nicht zu einer Mäßigung kommt.
09:01Wie groß ist die Gefahr auf einer Skala von eins sehr niedrig bis zehn sehr hoch,
09:05dass es regional so stark internationalisiert wird?
09:08Die Gefahr ist sehr hoch. Wir haben ja auch mehrere ausländische Streitkräfte durchaus schon im Ostkongo.
09:14Wir haben auf bilateraler Ebene das Burundi mit Truppen präsent.
09:20Wir haben die SADC-Truppen dort, die da jetzt auch gerade sich zurückziehen,
09:25weil sie in eine Lage gekommen sind, wo sie das, was sie dort eigentlich an Stabilisierung leisten wollen,
09:30nicht leisten können. Also von daher sind südafrikanische Soldaten ums Leben gekommen.
09:35Es sind Blauhelm-Soldaten ums Leben gekommen. Also das Ganze hat ein enormes Eskalationspotenzial.
09:42Jetzt gab es bei einem der Gipfel ja auch die Forderung an den kongolesischen Präsidenten Tshisekedi,
09:47Gespräche mit den M23-Rebellen aufzunehmen.
09:52Bisher weigert sich Tshisekedi. Wie stehen Sie dazu?
09:55Langfristig werden irgendwann Gespräche mit allen Seiten stattfinden müssen.
09:59Aus kongolesischer Sicht ist die Weigerung damit zu begründen,
10:02dass es sich eben nicht um innerkongolesische Rebellen handelt, sondern um die ruandischen Streitkräfte.
10:08Da ist sicherlich auch von beiden Seiten Wahrheit dabei.
10:13Es gibt sicherlich auch kongolesische Rebellen, die aber wie gesagt längst nicht diese militärische Macht hätten,
10:20wenn sie nicht von Ruanda unterstützt wären.
10:22Also die Reihenfolge müsste sein, dass Ruanda seine Streitkräfte zurückzieht
10:26und dass dann alle auch die kongolesischen Milizen und Rebellen dann an einen Tisch kommen,
10:32um ein Friedensabkommen auszuhandeln.
10:35Und was muss passieren unmittelbar mit Blick auf die Zivilbevölkerung,
10:40die erneut nach Jahrzehnten auch von Gewalt wieder besonders betroffen ist?
10:45Ja, kontinuierlich von massiver Gewalt betroffen ist.
10:48Das sehen wir auch jetzt. Auch die Eroberung von Goma hat nach UN-Eingang etwa 3000 Tote.
10:53Das sind ja in Anführungszeichen nur die Todeszahlen.
10:56Wir erleben einfach ein extremes Ausmaß an sexualisierter Gewalt,
10:59auch an Vergewaltigungen, auch an Hinrichtungen, auch sogar bis zu Kindern.
11:04Das heißt, wir versuchen als internationale Gemeinschaft, aber auch als Deutschland, humanitäre Hilfe zu leisten.
11:10Da haben wir jetzt auch nochmal neue Gelder freigegeben.
11:14Allein Deutschland hatte im letzten Jahr über 50 Millionen Euro an humanitärer Hilfe geleistet.
11:20Wir sind mit 100 Millionen Euro die größten Geber mit des UN-Mothilfefonds.
11:27Und das versuchen wir auch aufrechtzuerhalten.
11:30Aber es ist natürlich klar, was es für die Menschen bedeutet,
11:33wenn USAID die Mittel einstellt, die bis zu 70 Prozent der humanitären Hilfe darstellt.
11:39Das können auch wir nicht voll abdecken. Und das ist für die Menschen vor Ort eine absolute Katastrophe.
11:45Und sehen Sie diesen Konflikt mit seinen Wurzeln eher als rein afrikanischen Konflikt
11:51oder spielt auch das koloniale Erbe der Europäer eine Rolle?
11:54Also ich würde sagen, dieser Konflikt im Ostkongo ist wirklich einer der komplexesten überhaupt, wenn man sie verstehen will.
12:00Und dazu reicht es nicht, sich die letzten Jahre anzugucken.
12:04Es reicht wahrscheinlich nicht mal, bis nach 1994 zurückzugehen,
12:07der Völkermord in Ruanda, dessen Auswirkungen wir heute noch spüren,
12:11sondern tatsächlich auch wirklich bis in die Kolonialzeit zurückzugehen.
12:14Und wenn es eines Tages möglich sein sollte, dass alle am Tisch sitzen,
12:18um eine Art Aussöhnungskommission oder wie auch immer diese Konflikte aufzuarbeiten,
12:24dann wird es ein sehr großer Zeitraum sein, über den man da sprechen muss.
12:28Denn schon in der Kolonialzeit war es angelegt, dass die Kolonialmächte eben durch ihre Unterscheidung
12:33zwischen Tutsi und Huthi, die eigentlich gar keine ethnischen Parteien sind,
12:37diese gegeneinander aufgebracht haben, indem die Kolonialmächte die Tutsi bevorzugt haben vor den Huthu.
12:43Und damit sozusagen ist der Kern dieser immer wiederkehrenden Auseinandersetzung in dieser Zeit gelegt worden.
12:52Ich danke für das Gespräch, Katja Koll.
12:54Danke auch.